Geschichte des Kapitänshauses Klar Kimming

Geschichte des Kapitänshauses Klar Kimming

Die Geschichte des KapitänshausesKlar Kimming, (das bedeutet: weiter, freier Horizont und entstammt dem friesischen Lebensmotto „Rüm hart, klar kimming“ = großes oder festes Herz, weiter oder klarer Horizont) beginnt im Jahr 1927. Der Amrumer Wilhelm Heinrich Gerhard Tönissen baute es auf dem Geesthügel „Feederhuugam“ am Rande des Ortskerns für seine Familie. Die spannende Geschichte des Hauses ist eng verwoben mit der Lebensgeschichte seines Erbauers.

Ein Amrumer auf den Weltmeeren

Geboren wurde Wilhelm Heinrich Tönissen am 8. April 1881 in Süddorf auf Amrum. Schon 1896, mit 15 Jahren, wurde Wilhelm Tönissen in der Amrumer St. Clemens-Kirche vorzeitig konfirmiert, damit er mit dem Amrumer Kapitän Carl Jessen zur See fahren konnte. Er heuerte auf Jessens Dreimastbark „Pirat“ an, ehe er sich bereits auf seiner zweiten Reise auf dem Schiff „Placilla“ als Decksjunge für 15 Mark verdingte. Seine dritte Reise auf der Bark „Planet“ der Blankeneser Reederei Breckwoldt trat er als Vollmatrose an.

„Beriberi“ an Bord

Die „Planet“ fuhr mit Koks und Salpeter auf der Mexiko-Linie. Auf einer Reise brach die bis dahin unbekannte „Beriberi“-Krankheit aus, ein akuter Vitaminmangel. Die Seeleute verloren erst Zähne und Zahnfleisch und letztlich ihren Verstand. Der Kapitän der „Planet“ sprang mitten im Atlantischen Ozean über Bord. Große Teile der Besatzung erkrankten. Ein Matrose zerstörte eine Petroleumlampe im Mannschaftslogis und löste einen Großbrand auf dem Schiff aus, der nur mit Mühe gelöscht werden konnte. Auch der 1. Steuermann und viele Matrosen starben. Ein englischer Dampfer war die Rettung für den Rest der Besatzung, die nach Monaten wieder den englischen Hafen Plymouth erreichte. Auch Wilhelm Tönissen überlebte. Er schöpfte neue Kraft, ackerte dann neun Monate auf der Steuermannsschule in Flensburg und wurde danach 3. Offizier auf der "Parnassus".

Die Frau des Kapitäns

Schon bei der zweiten Fahrt mit der "Parnassus" war Wilhelm Tönissen zum 2. Offizier aufgestiegen. Da beide Fahrten 21 Monate dauerten, fehlten ihm noch drei Monate an der für das Kapitänsexamen vorgeschriebenen Zeit. Er erfüllte sie auf dem Hamburger Dampfer "Pellworm". Da zu dieser Zeit der Kapitänslehrgang in Flensburg schon begonnen hatte, und sich Tönissen noch auf hoher See zwischen Glasgow und Hamburg befand, ließ er sich etwas einfallen. Der geschäftstüchtige Amrumer schickte kurzerhand einfach seine Frau Georgine (Gine) zur Navigationsschule und sie machte für ihn Notizen zum Lehrstoff. Schon 1909, dem Geburtsjahr seines ersten Sohnes Wilhelm, wurde Wilhelm senior 1. Offizier.

Mann über Bord

Mit seinem nächsten Schiff, der "Pisagua" ging die Reise zur Westküste von Südamerika. Während eines schweren Sturms am Kap Horn wurde ein Matrose von einer Raa heruntergeweht und ging über Bord. Der Kapitän hatte Bedenken, bei diesem Wetter ein Boot auszusetzen, doch Wilhelm Tönissen, der den Mann in die Raa geschickt hatte, übernahm die Verantwortung und ging mit einigen Männern in das Boot. Es gelang ihnen, den Matrosen aufzufischen. Nach dieser Reise fuhr Wilhelm für die Reederei Siemers aus Hamburg auf der Viermastbark "Kurt", die zunächst zur Westküste Südamerikas und von dort nach New Castle in Australien fuhr. Bereits nach seiner zweiten Fahrt mit der "Kurt" wurde der 1. Steuermann Wilhelm Tönissen zum Kapitän ernannt. Mit erst 27 Jahren war er damit der jüngste Kapitän Hamburger Reeder.

Eine Amrumer Rekordfahrt

Die erste Fahrt als Kapitän der „Kurt“ ging nach Mexiko und Australien. Die Rückfahrt von „Down under“ nach Valparaiso schaffte der neu ernannte Käpt’n in Rekordzeit: Wilhelm Tönissen benötigte nur 31 Tage, was bis heute keinem Fracht-Segler der Größe der „Kurt“ mehr gelungen ist. Als Belohnung erhielt der sehr strenge Kapitän vom Reeder 5000 Mark und ein Fernglas. Bei dieser Rekordfahrt – berichteten die Matrosen – sei die „Kurt“ mehr unter als über Wasser gesegelt. Wilhelm Tönissen zeigte einmal mehr seine herausragenden Qualitäten als Seemann, aber auch als Mensch. Als sich hoch oben in der Takelage eine Kette löste, wagte sich niemand hinauf. Der Kapitän selbst kletterte dann hinauf, um den gefährlichen Schaden zu reparieren.

Das große Geld

Im Krieg lag die „Kurt“ drei Jahre unbehelligt im Columbia-River in den USA vor Anker. Erst als die Vereinigten Staaten 1917 in den Krieg eintraten, wurde auch Tönissens Schiff beschlagnahmt und er und seine verbliebenen Seeleute wurden interniert. Mit dem Ende des Krieges kehrte Wilhelm Tönissen zu seiner Frau „Gine“ und den Kindern nach Amrum zurück. Da das Gehalt Tönissens von der Reederei auch während der Zeit seiner Internierung weitergezahlt worden war, verfügte er - für diese Zeit - über viel Geld.

Zu Hause auf Klar Kimming

Aus gesundheitlichen Gründen konnte Tönissen nach dem Krieg nicht mehr zur See fahren. Eine schwere Angina während der Internierung hatte Wilhelms Herz schwer beschädigt. Jährliche Kuraufenthalte waren die Folge. Zwar war Wilhelm Tönissen ein tüchtiger Geschäftsmann, doch der Stress und die wirtschaftlich schweren Zeiten zehrten zudem an den Kräften des Amrumer Freimaurers. Doch Tönissen steckte nicht zurück. Zusammen mit seinen Kapitänskollegen Willem Peters und Carl Jessen gründete er eine Kohlenhandlung. Ab 1925 übernahm er die Direktion der Amrumer Inselbahn, vertrat den Hamburger Seebäderdienst, übernahm eine Filiale der Sparkasse Wyk und war geschäftlich an den E-Werken in Norddorf, Nebel und Wittdün beteiligt. Bis 1927 hatte er so wieder einiges Geld erwirtschaftet. Mit dem Ersparten baute er auf der Anhöhe "Feederhuugam" am westlichen Rand von Nebel sein nicht nur für damalige Zeiten repräsentatives Haus, von dem man noch heute die weite Fernsicht über die Insel raus auf das Meer genießen kann. Das Haus erhielt von Seefahrer Tönissen nicht ohne Grund den Namen "Klar Kimming". Klar Kimming bedeutet weiter, freier Horizont und entstammt dem friesischem Lebensmotto "Rüm Hart, klar Kimming" = großes (oder festes) Herz, weiter (oder klarer) Horizont.

Der frühe Tod des Kapitäns

Leider viel zu früh, schon mit 48 Jahren, starb Wilhelm Tönissen auf einer Reise nach Hamburg an einem Herzinfarkt. Das war 1929, seine spätgeborenen Kinder Kurt und Inge waren da gerade neun und acht Jahre alt. „Gine“ Tönissen lebte fortan mit den Kindern Cäcilie (geb. 1905), Wilhelm (geb. 1909), Irene (geb. 1910), Kurt (geb. 1920 und nach dem letzten väterlichen Schiff benannt), und Inge (geb. 1921) alleine auf „Klar Kimming“. Bis zu ihrem Tod am 10. Januar 1972 lebte „Gine“ im Haus und vermietete Zimmer an Feriengäste. Sie war die letzte Amrumerin, die noch täglich die traditionelle Friesentracht trug.

Acht Zimmer mit fließendem Wasser

„Klar Kimming“ taucht als eines der ersten Häuser im „Amtlichen Verzeichnis der deutschen Beherbergungsbetriebe“ vom 15. April 1935 auf. Nur 25 Beherbergungsbetriebe gab es zu dieser Zeit in Nebel. „Gine“ vermietete 16 Zimmer (2 mit Privatbad und acht mit fließendem Wasser). Für ein Bett ohne Bad mussten die Gäste in der Hauptsaison 1,40 Mark bezahlen. Das Frühstück kostete 70 Pfennige.

Drei Mal „K“

1974 kaufte die Familie Köpsell „Klar Kimming“, nachdem Sie sich bei einer kurzen Stippvisite in Amrum verliebt und in der Folge Grundstücke erworben und Häuser gebaut hatte. Unter Architekt und Bauunternehmer Köpsell erhielt „Klar Kimming“ einen Keller und in späteren Jahren wurde das Dach ausgebaut. Lange Jahre betrieben die Köpsells das Haus als badisches Restaurant und Weinstube. Aus Altersgründen zog es sie nach Husum aufs Festland. Es folgte Familie Friesendorff, die das Kapitänshaus in elf Jahren zu ganz neuem Leben erweckte und mit viel Einsatz und Liebe wieder ein florierendes Ferienhaus aus Klar Kimming machten. Der Kinder und deren schulischer Ausbildung wegen, entschlossen sich die Friesendorffs das Friesendorf doch wieder zu verlassen. Seit 2016 sind wir, die Familie Köller aus Hamburg, Eigentümer des Hauses und versuchen im Sinne von Tönissens, Köpsells und Friesendorffs das Haus weiter zu führen. Friesendorffs verpassten dem Haus ab 2005 im Andenken an Kapitän Wilhelm Tönissen den Namen „Kapitänshaus Klar Kimming“. Wir sind keine Kapitäne, aber stets um sicheren Kurs für unsere Gäste bemüht - und sagen deshalb: Rüm hart, klar kimming!

Ehre dem Albatross

Erst 2004 wurde die deutsche Vereinigung der „Cap Horniers“, eine Gruppe der „Association Internationale Amicale des Capitains au Long Cour-Cap Horniers“ aufgelöst. Auch Wilhelm Tönissen gehörte zu den „Albatrossen“, wie man die wagemutigen Seeleute nennt, die mit Fracht-Segelschiffen Kap Horn in Ost-West-Richtung umrundet haben. 300 Tage im Jahr Sturm, hoher Seegang, Nebel und Eiseskälte – es gab nur 627 deutsche „Albatrosse“, darunter mit Wilhelm Tönissen nur 17 Segelschiffkapitäne! Über 800 Schiffe sanken und über 10.000 Seeleute ließen am Kap Horn ihr Leben.

Und wo ist die „Kurt“?

Wilhelm Tönissen´s Schiff, die „Kurt“, gibt es heute noch. Nach vielen Irrwegen ist die gute alte Viermastbark heute sogar das größte sich noch im Wasser befindende Schiff ihrer Art. Heute heißt die „Kurt“ „Moshulu“ und liegt nach vielen Umbauten als Restaurant-Schiff in den USA an Penn’s Landing im Delaware River in Philadelphia. Wilhelm Tönissen, der nur mit Glück der „Beriberi“-Krankheit entkommen ist, hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass auf seiner „Kurt“ heute ein Vier-Sterne-Restaurant beheimatet ist und sich auf Höhe seiner ehemaligen Kapitänskajüte eine „Bongo Bar“ befindet.

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